Gestern war ich wieder bei dem türkischen Kleiderreparierer. Schneider ist er jedenfalls nicht. Er war damit beschäftigt, einen Reißverschluß in eine Outdoorjacke einzunähen. Es klappte nicht auf Anhieb und er musste ein Stück wieder auftrennen. Mich beeindruckte, dass er einfach nähte. Es sah gerade aus, er musste nichts feststecken, nichts abmessen – rrrrt, und wieder rrrrt und er war unten angelangt. Diese gelassene Selbstverständlichkeit hätte ich auch gern.
Und diese Nähmaschinen – beeindruckend! Er sagte mal zu mir, „Wenn andere Menschen das können, dann kann ich das auch, ich bin auch ein Mensch.“. Das beeindruckt mich auch. Eine prima Antwort an meinen Perfektionismus. In den Schoß wird es ihm nicht gefallen sein. Aber er ist drangeblieben. Und jetzt läuft es perfekt.
Es ist Ramadan, den hält er ein. Kein Essen und auch kein Trinken, erst ab Sonnenuntergang, hier 18.45 Uhr. Ich merkte, wie ich müde wurde. Er war auch müde. Und dann erzählte er mir, dass er sich nicht gläubig genug fühlt, weil er nicht sechsmal am Tag betet. Er könne doch den Moment ein Schild aufstellen, sich waschen, dann seinen Teppich ausrollen und beten, so lange würde das doch nicht dauern.
Ich habe nicht gefragt, warum er das dann nicht einfach macht. Er muss sich nicht rechtfertigen. Aber es tat mir leid, dass er sich schlecht fühlt. Darum fragte ich, ob nicht auch schon die Absicht zählt, wenn man doch gern beten möchte und also im Herzen dabei ist. Aber das zählt nicht.
Ich glaube an einen liebenden Gott, der barmherzig ist und der mit mir ist. Rituale, um mich zu verbinden – die hätte ich gern, das wäre schön. Rituale, die mich dabei unterstützen, in Verbindung zu bleiben, nicht um eine Regel eingehalten zu haben und eine „Leistung“ erbracht zu haben, sondern freiwillig und für mich.
Mich frage ich nun „Warum mache ich das nicht?“ Auch ich muss mich nicht rechtfertigen. Ich werde das was und das wann und das überhaupt in meinem Herzen bewegen.
Ich gehe hier zwar auch in die Kirche, bin aber nur mäßig motivert. Ich verstehe nicht alles. Ja, ich weiß – es ist auch Übungssache. Oft genug fühlt es sich wie ein immer wieder neues Beginnen an. Und auch in deutschen Gottesdiensten hatte ich es ab und zu, dass mich die Predigt nicht ansprach. Dann war die Liturgie das, was ich mitnahm. Hier wechselt es immer wieder, weil drei verschiedene Gemeinden nun in einer zusammengefasst sind.
Anfangs musste ich weinen, wenn ein Lied gesungen wurde, das ich kenne. Dann fiel mir die der erste Teil der Strophe ein, der Rest hingegen nicht, manchmal klingt es auch relativ gleich. Etwas Vertrautes und doch fremd. Wahrscheinlich ist es das Gefühl, nicht dazuzugehören. Ich bin so oft umgezogen, war in reformierten und unierten Gottesdiensten. Anfangs hatte ich eine Zeit lang damit gehadert, als das Vaterunser im Sitzen gebetet wurde. Ich komme aus einer lutherischen Gemeinde und zu meiner Zeit wurde es dort als Ausdruck der Ehrerbietung im Stehen gebetet. Irgendwann wurde mir jedoch bewusst, dass ich beim Beten des Vaterunsers mehr mit dem Thema Stehen oder Sitzen beschäftigt war und dass das doch eigentlich nebensächlich ist.
Da fällt mir ein, dass in die Zeit auch fiel, dass ich Schwierigkeiten damit hatte aufzustehen, wenn begeistert applaudiert wurde und die Menschen aufsprangen und stehend applaudierten. Inzwischen kann ich das gut trennen.
Ich habe also, wenn man so will, viel Erfahrung mit unterschiedlichen Formen der Gottesdienstgestaltung „im Gepäck“. Und doch fällt es mir hier nun schwer. Ich werde eine Lösung finden.