20. August 2024

Ich möchte gern wieder arbeiten. Auf meine Bewerbung bei der Bibliothek, bei der ich freiwillig und mit viel Freude arbeite, habe ich eine Absage bekommen. Ich war enttäuscht. Oft genug höre ich, dass ich gut dorthin passe, „klantadviseur“ ist die Bezeichnung, das bedeutet Kundenberater. Das würde ich auch gern sein, weil das jemand ist, der bzw die viel weiß, nicht nur dies und das rund ums Buch oder wie, der Kopierer als Drucker funktioniert, sondern vor allem auch, bei welchem Problem man wo Hilfe bekommen kann.


Neulich erst vertraute mir eine ältere Frau nebenbei an, dass sie nicht lesen kann. Ich fühlte mich geehrt. Ich ermutigte sie, damit doch noch zu beginnen. Sie erwiderte, das sie viele Probleme mit ihrem Kopf habe. Schade. Ich habe noch viel an sie gedacht. Wär doch schön, wenn sie zumindest die Namen ihrer Liebsten schreiben könnte und „Ich liebe Dich!“.

Weil die klantadviseure viel wissen, habe ich von meinem Wunsch erzählt, wieder arbeiten zu wollen. Eine hat mir geraten, mit dem leerwerkloket Kontakt aufzunehmen. Aber die spannende Frage bleibt – was möchte ich gern machen? Auf die Frage fällt mir immer nur ein, was ich nicht möchte – ich möchte nicht in der horeca werken und nicht in der Pflege und auch nicht in der Verwaltung, letzteres nicht, weil ich dafür nicht genug Niederländisch kann.

Ich möchte gern so arbeiten, dass es ein Geben und Nehmen ist. Vielleicht könnte ich ein online business aufbauen.

Heute habe ich wieder in der Bieb gearbeitet. Noch sind hier Ferien und ist es schön ruhig. So habe ich mich viel mit der Kundenberaterin unterhalten. Sie meinte, ich könnte doch Deutschlehrerin werden. Nur habe ich kein Diplom. Sie meinte, ich könne studieren und nebenbei schon arbeiten. Wenn das denn so geht und ich nicht zu alt dafür bin … Aber ich habe überlegt, dass ich an einer Schule fragen könnte, ob ich hospitieren kann. Dann kann ich hoffentlich herausfinden, ob das etwas für mich ist.

Und dann war mein Ziel heute, wieder die Runde spazierenzugehen, entlang der Waal zu dem Haus mit dem kleinen Tisch vor der Tür, der beschirmt wird durch einen gelben Sonnenschirm und auf dem man zwischen verschiedenen Sorten selbstgemachter Marmelade wählen kann, Äpfel gibt es auch. Ich war schon gestern Nachmittag dorthin spaziert, um zu gucken, ob es wieder Marmelade gibt, hatte jedoch keine Tasche dabei. Ich hatte mich sehr gefreut, wieder die Marmelade zu sehen und beschlossen, heute zurückzukommen und die Feigenmarmelade zu kaufen und die, die „magnolia-appeljam“ heißt. Und so bin ich heute nach meinem Dienst in der Bieb dorthin gegangen.

Inzwischen ist es Mittag, die Sonne scheint, der Himmel ist weiß. Endlich kann man wieder an der Waal spazieren gehen, vor mir ein geteerter Weg. Kurz vor dem Ziel werde ich angesprochen, angehalten – ob ich die Schilder nicht sehe? Ich war zielstrebig an einem Mann in gelber Arbeitskleidung und einer Frau vorbei gegangen, die Marmelade keine 50 Meter vor meiner Nase. Ich dürfe da nicht lang gehen. Aber ich wolle doch nur zu dem Haus da, dem mit der Marmelade vor der Tür. Ich wolle heute Marmelade kaufen. Warum dürfe ich das nicht? Auf meine Rückfrage redete der Mann gleich auf Deutsch mit mir, was ich immer abwehre, weil wir hier in den Niederlanden sind und sie mit mir nicht Deutsch reden müssen. Schnell bin ich mit in das Gespräch verwickelt. Es stellt sich heraus, dass die Frau in der Pflege arbeitet und Menschen mit Demenz betreut. Es fällt ihr nicht leicht, doch sie schafft es immer irgendwie. Dann geht sie weiter und wir wünschen ihr veel succes – viel Erfolg.

Und dann erzähle ich, dass ich auch wieder arbeiten möchte. Es sei großer Bedarf da, entgegnet der Mann und ich daraufhin, dass ich aber nicht in der Gastronomie, nicht in der Pflege und nicht in der Verwaltung arbeiten wolle. Er würde mich sofort einstellen, wenn er einen Betrieb hätte, meinte er. Ich wäre hoch ausgebildet, ich hätte eine schnelle Auffassungsgabe, würde mich schnell einarbeiten, wäre interessiert und würde etwas voran bringen. Das hat mich unglaublich berührt. Ich hätte doch studiert? Ja. HBO, doch?! Ja, aber ich habe nicht bestanden. HBO, dass sind die Leitenden, meinte er. So habe ich das noch nie gesehen. Ich wollte Pfarrerin werden. Und ich habe dann 18 Jahre bei der Kirche gearbeitet, in der Verwaltung.

Wir unterhalten uns eine ganze Weile, immer wieder kommen Leute an, die einfach so wie ich weitergehen wollen, „Warum stellst Du die Barke nicht quer?“, fragt eine Frau. „Weil die Menschen ja doch machen, was sie wollen!“ Irgendwann klingelt sein Telefon. Hartnäckig. Während er telefoniert, kaufe ich die Marmelade. Als ich zurückkomme, unterbricht er sein Telefonat, wir quatschen noch etwas über die Marmelade und witzeln. Wenn er einen Rat für mich habe … Tausende! Gut, ich komme morgen wieder.

Erst letztens sagte eine Bekannte zu mir, „Du hast so viel zu geben!“ und ich fragte sie „Aber was?“ – ich will ja gern. „Das kommt schon auf Dich zu!“, meinte sie. Auch die Kundenberaterin heute war sich sicher, dass das schon klappen wird.

Mir ist in der letzten Zeit bewusst geworden, dass ich in den 18 Jahren, in denen ich bei der Kirche gearbeitet habe, immer auch in dem Schmerz war, dass ich durchgefallen bin, dass ich nicht Pfarrerin geworden bin – obwohl ich daran gearbeitet hatte. Ich konnte nichts als einen Erfolg anerkennen. Als ich bei der Kirche gearbeitet habe, habe ich mir Anerkennung gewünscht, nur um dann zu lernen, dass ich die Erste sein sollte, die ihre eigene Leistung anerkennt und wertschätzt. Wenn nicht ich, wer dann?

Und ich habe rational wohl begriffen, dass der Beruf ziemlich herausfordernd ist. Ich hatte in den Jahren einige Studienfreunde getroffen, ein sehr Kreativer hatte einen Burn Out und hat einen Tinnitus und auch andere erzählten von den großen Herausforderungen, von Ernüchterung, von Enttäuschungen.

Das Eine ist, etwas verstandesmäßig zu begreifen, ein Anderes, es auch mit der Seele oder dem Herzen zu verstehen. Und dann bleibt immer noch, damit gut umzugehen.

Vor einiger Zeit meinte mal jemand zu mir, ich würde hadern. In dem Kontext ging es um das Finden einer neuen beruflichen Tätigkeit, gerade auch im Sinne von Berufung. Das hat mich verletzt, weil ich mich verletzlich gezeigt hatte, meine „Geschichte“ erzähle ich nicht einfach so und immer wieder.
Da waren dann auch „die Schotten dicht“, „Du haderst“ ist eine Zuschreibung – die meiner Meinung nach nichts bringt, jedenfalls in meinen Augen nichts Gutes. Was ist der Appell dahinter?
Vielleicht habe ich auch noch nicht die richtige Form des Umgangs damit gefunden? So, wie ich auch nicht weiß, was ich mit all meinen theologischen Büchern machen soll. Das Wissen darin ist veraltet. Und doch konnte ich sie bisher nicht loslassen.

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